Service Reden 2012 > Wilfried Hendricks und Rudolf Peschke

 

15. Februar 2012
Wettbewerbsrückblick und ein Ausblick auf die (digitale) Schule von Morgen

Ein Gespräch zwischen digita-Initiator Prof. Dr. Wilfried Hendricks und digita-Juror Rudolf Peschke

 
 

 
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Wilfried Hendricks:
Meine Damen und Herren, als ich mich vorbereitet hatte auf den heutigen Tag, habe ich gedacht: Das macht doch sicherlich Sinn, mal mit dem dienstältesten Jurymitglied zu sprechen. Wir beide im Gespräch mit Rückblick und Ausblick. Rudi Peschke ist Ihnen wahrscheinlich seit Jahren vertraut. Er ist im Hessischen Kultusministerium Referatsleiter, er ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Computer und Unterricht“, und wir kennen uns schon seit Anfang der 80er Jahre, als er die ersten Modellversuche in Hessen gemacht hat und ich als Berater im Niedersächsischen Kultusministerium tätig war. Nun möchte ich Rudi Peschke fragen: Was sind die bedeutsamsten Entwicklungen bei den digitalen Medien und Werkzeugen in den Schulen im letzten Jahrzehnt?

 

Rudolf Peschke: Das ist keine einfache Frage. Ich würde es mal so formulieren: Es gilt zu unterscheiden zwischen dem informellen Lernen und dem schulischen Lernen. Für das informelle Lernen, denke ich, sind entscheidend die Endgeräte in der Hand der Privatperson, die sozialen Netzwerke und die Contents im Internet. Und zwar insofern, als diese drei Bereiche einen pädagogischen Raum aufspannen für Jedermann. Jedermann kann sich auf diese Art und Weise außerhalb institutioneller Rahmenbedingungen auch Bildungselemente verschaffen und auch seine Kompetenzen erweitern. Im schulischen Zusammenhang sind die Entwicklungen sicher auf kleinerer Ebene angesiedelt. Ich denke zum Einen ist es wichtig, dass überhaupt in allen Schulen IT und Medien genutzt werden können, dass da auch Voraussetzungen vorhanden sind. Schulen sind jetzt dabei, von einer eher individuellen Ausgangssituation, geordnete Strukturen in den Schulen zu schaffen mit Lernmanagementsystemen, mit Intranet und Wissenszentren. Eine geordnete Struktur muss vorhanden sein, damit der Medieneinsatz und digitale Inhalte in den Schulen auch umfassender funktionieren können. Und es ich ganz wichtig, dass in den Schulen inzwischen auch eine größere Gruppe von Lehrenden vorhanden und in der Lage ist, diese Medien auch einzusetzen.

 

Wilfried Hendricks: Wir kennen uns seit drei Jahrzenten. Wir könnten locker hier stundenlang über diese drei Jahrzehnte reden. Das lassen wir lieber. Denn wir wollen hier auf den diesjährigen digita-Jahrgang schauen. Bei den Winzern wird immer gefragt: „Wie war denn der Jahrgang?“ Im letzten Jahrgang war die Ernte sehr gut - viel Menge, viel Klasse. Wenn man dies jetzt überträgt auf unseren Wettbewerb: Auch beim digita gab es viel Menge, aber manche Sorten waren nicht so reichhaltig vertreten. Das heißt, es gab in den Preiskategorien einige Ausfälle. Aber die Spitzenprodukte sind wirklich wie jedes Jahr glänzend.

 

Der Siebtzehnte Wettbewerb des "digita" ist relativ rasch erzählt: Vor 102 Tagen haben wir angefangen - da war die Einreichungsfrist - 100 Produkte wurden angemeldet. Danach haben sich 71 Gutachterinnen und Gutachter mit diesen Produkten beschäftigt, 200 Gutachten waren zu verarbeiten. Die aus neun Personen bestehende Jury hat sich mit diesen Produkten beschäftigt, es gab 22 Nominierte und davon sind neun heute als Sieger auszuzeichnen. In diesen nüchternen Zahlen spiegelt sich der Wettbewerb und für uns als Veranstalter ist die tolle Nachricht, dass wir eine Teilnahmesteigerung von 47 Prozent haben. Nun wird jeder Wirtschaftswissenschaftler sagen: "Ok, das war der Basiseffekt." Aber wir freuen uns trotzdem, nach dem Down vom letzten Jahr - 68 Teilnehmer - nun 100 zu haben.

 

Besonders erfreulich ist es, dass besonders in der Kategorie „Allgemeinbildende Schulen“, die in den letzten Jahren etwas schwächer besetzt war, große Anstiege zu verzeichnen waren - insbesondere im Bereich der Grundschule. Die quantitativen und qualitativen Defizite aus den letzten Jahren sind eigentlich behoben und die „Allgemeinbildende Schule“, denken wir, ist für die Anbieter interessanter geworden.

 


Wenn es stimmt Rudi, dass die Nutzung der digitalen Medien und Werkzeuge das selbstständige Lernen unterstützt - und das betonen wir dauernd - könntest Du sagen, was die Verantwortlichen tun müssten, in Ministerien, in der Schulaufsicht, bei den Schulträgern, in den Schulen, damit sich die Dinge verändern?

 


Rudolf Peschke:Also, verändern tun sie sich sowieso andauernd, aber wir wollen ja einen gewissen Schub. Ich könnte hier den Minister (gemeint ist der anwesende Niedersächsische Kultusminister und digita-Schirmherr Dr. Bernd Althusmann, Anm. d. Red.) direkt fragen, was die Ministerien tun sollen. Also, ich bin der Meinung, sie sollen einfach Mut haben, auch verbindliche Vorgaben zu formulieren, selbst wenn sie in eine ungewisse Zukunft hinein steuern bzw. wenn eine Steuerung schwierig ist. Dieser Mut würde dazu beitragen, dass dann alle Entscheidungsträger auf unterschiedlichen Ebenen auch mehr Veranlassung hätten sich um eine Medienintegration und Mediennutzung zu kümmern. Die Schulaufsicht im Sinne der Beratung und der Steuerung müsste - wie es in Hessen heißt - die Zielvereinbarung mit den Schulen so formulieren, dass der Medieneinsatz auf jeden Fall mit berücksichtigt wird. Die Schulträger haben eine einfacher zu definierende, aber sehr schwierig umzusetzende Aufgabe: Sie müssen dafür sorgen, dass die Ausstattung, die pädagogisch notwendig ist, verfügbar ist und auch täglich funktioniert. Die Schulen haben natürlich den schwierigsten Teil zu bewältigen. Ich kann aber sagen, dass die Schulleitungen dafür sorgen sollten, dass die Nutzung von IT und Medien alltäglich wird und das können sie schon ein Stück weit dadurch erreichen, indem die pädagogischen Prozesse im Kollegium  mit der Schulleitung zusammen ein Stück automatisiert unterstützt werden. Den Lehrerinnen und Lehrer würde ich mir wünschen, sie behielten einfach ihre Neugierde und Kreativität, Unterricht weiter zu entwickeln, um mit den Schülerinnen und Schülern eine gute Zukunft zu gestalten.

 

Wilfried Hendricks:Rudi, das ist ein bisschen viel Konjunktiv! Da frage ich mal konkret: Welche Bedeutung oder welchen Stellenwert hat die Medienfrage in der bildungspolitischen Diskussion denn tatsächlich?  

 

Rudolf Peschke: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen einer Präambel-Bedeutung und dem realen Haushalt. Es gibt immer wieder Schübe, wie jetzt die Frage um den "Jugendmedienschutz", oder auch die Diskussion um die Apps und die i-Pads und ähnliches mehr, die die Politik ein Stück aufrütteln und wo sofort überlegt wird: "Sind wir auf dem richtigen Weg?" oder "Was müssten wir tun?" Auf dem Gebiet gibt es keinen Stillstand, weil das Gewand, in dem die Entwicklungen neuer Technologien auftreten, sich immer wieder ändert, und dann müssen immer wieder neue Antworten gefunden werden. Aber im realen Haushalt, dort, wo die Nachhaltigkeit wirklich zementiert wird und Ausgaben Tag für Tag - in Schulen, in der Lehrerfortbildung, in der Ausstattung - getätigt werden müssen, da kann man eher beobachten, dass rückläufige Etats zu verzeichnen sind.

 

Wilfried Hendricks: Das muss man bedauern. Dann sind wir schon mal wieder im Indikativ… Wir haben bei der Jurysitzung gesehen: Web 2.0 und Social Media sind im Vorwärtsgang. Wir haben auch festgestellt, dass Mobiles Lernen wirklich stark unterwegs ist. Nun haben wir auf der anderen Seite bemerkt - das kann man toll finden oder es als Problem empfinden - dass man Neuerungen gegenüber etwas reserviert dasteht. Das ist bei Lehrern so; das ist bei Anbietern so und es gibt immer welche, die drängen nach vorne. Was denkst Du, setzt sich das Web2.0 durch, setzt sich das Mobile Lernen durch?

 

Rudi Peschke: Also, privat auf jeden Fall. In der Schule ist es viel komplizierter. Ich denke, das ist ein Stück Henne-und-Ei-Problem. Jeder Fortschritt muss erst mal angetastet, verfolgt werden, bevor eine Vertrauensbasis entsteht und dann auch Entscheidungsträger und auch die einzelnen Lehrer und Lehrerinnen Mut fassen, ihre traditionellen Vorgehensweisen aufzubrechen. Ich glaube, dass wir im schulischen Bereich Schwierigkeiten haben, diese Dynamik von Web2.0 und auch von Devices in privater Hand in relativ kurzer Zeit zu bewältigen, weil bei einem solchen Tandem enorme Anstrengungen notwendig sind bis hin zur Qualifizierung von Tausenden von Lehrkräften, die man gar nicht in kurzer Zeit bewältigen kann. Also geht es nur dann, wenn alle engagiert sagen: "Wir machen uns gemeinsam auf den Weg". Und da entsteht natürlich von vielerlei Seiten Druck. Wir haben hier heute auch auf der "Didacta" gesehen, dass es bis hin zu digitalen Materialien Impulse gibt, den Lehrern und Lehrerinnen zur Seite zu stehen.

 

Wilfried Hendricks: Man braucht, wenn man das so sieht, wahrscheinlich eine neue "Appchen-Didaktik" oder so was. Wir haben hier heute Morgen eine Presse-Konferenz gehabt, in der das digitale Schulbuch vorgestellt wurde, wir haben die "Apple Challenge" erlebt - Apple sagt: "Wir bringen alle Schulbücher in den USA jetzt digital raus.“ Wie siehst Du das denn, haben wir in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren einen völlig neuen Inhalt in den Schulranzen?

 

Rudi Peschke: Ich habe in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass die Überlegungen, dass in fünf Jahren das und das erreicht wird, sich schnell wieder als obsolet erweisen. Aber der leichte Schulranzen als Symbol für die Entwicklung, glaube ich, schreitet voran und es wird sicher auch eine große Beschleunigung geben, wenn eben alle, die an dem Prozess beteiligt sind – insbesondere, wie in diesem Fall, die Verlage und die Inhaltsanbieter - eine konzertierte Aktion auf dem Gebiet wagen. Allerdings: Die Pressekonferenz heute hat erst mal einen ganz kleinen Schritt gezeigt. Der große Schub steht also noch aus.

 

Wilfried Hendricks:
Das sehe ich auch so. Wir sind gespannt auf die Entwicklung in den nächsten Jahren und sind auch gespannt, ob nächstes Jahr vielleicht mal so ein digitales Tablet mit Schulbüchern und anderen Dingen eingereicht wird. Rudi, ich danke Dir für dieses Gespräch, und ich denke, wir sind jetzt ganz gespannt darauf, was Minister Althusmann uns sagen wird.
 

 
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